Hat Volker Braun den Schuss gehört?
Submitted by Rule BritanniaIm Frühsommer 2020 stand Volker Braun lange hinter seiner Gardine und schaute auf Berlin: "Die Stadt ist ruhiggestellt / wie ein Pestpatient". Die Welt wurde dazu "bewegt, mit einmal, stillezustehn". Die Straßen sind "entmenscht" und "der Senat schließt die Kneipen … die Kanzlerin rät von sozialen Kontakten ab / Streifenwagen schaun nach, ob noch Leben ist“, um dann Strafzettel zu verteilen. Der kollektive Stubenarrest als Fuge mit kaum veränderten Variationen der Angstmacherei. "EIN JAHR OHNE Kunst". Während "Wetterwandel" und "Weltenaufruhr" andernorts weitertoben: Im Anthropozän findet der Mekong sein Delta nicht mehr, fressen sich Brände in den trockenen Wald, herrscht ein "Krieg der Landschaften".
Braun beschreibt zweifellos den Klimawandel, spricht aber nur vom "Wetterwandel". Ein altbekanntes Stilmittel des superschlauen Dialektikers: 1988 etwa beschrieb er die "Verheerende Folge mangelnden Anscheins innerbetrieblicher Demokratie". Der Genosse Axen konnte sich aussuchen, ob wir (Ossis) die pralle innerbetriebliche Demokratie hatten und nur nicht zeigen konnten oder in einer chancenlosen Kommandowirtschaft lebten. Auch heute behält Volker Braun für sich, ob er den "Schuss gehört " hat - den großen Knall der geplanten Bevölkerungsreduktion nach Gates und Schwab.
Statt dessen aufgeschriebene Befindlichkeiten: seit langem träumt er nicht mehr (vom Sozialismus): "Genossen, kein Homeoffice im Schlaf, die gewohnte Schwarzarbeit." Nur ein Wachtraum stellt sich ein, "der Traum von einer Sache, die nicht in der Welt ist, oder einer Welt, die nicht meine Sache ist." Corona ein Fake aus einer Propagandawelt? Der Genosse Spahn kann es sich aussuchen. Der Dichter rätselt derweil, ob dies alles doch der KATARRHSIS, der Läuterung der Klima-sündigen Menschheit dienen könnte? Eher nicht, nur ein "Katarrh im Kulturbetrieb, einmal All dem (Unfug) Einhalt gebieten". Der Dichter wäscht sich die Hände: "Kein Shakehands, doch vorsichtshalber der deutsche Gruß." Alles Nazis, außer Mutti Merkel! Und "China schwitzt das Übel im Schwitzkasten aus. Ein Unterarmwürgegriff (: in die Armbeuge husten)" der Demokratie - oder doch nur ihr mangelnder Anschein?
Das letzte Gedicht "Geisterstunde" nimmt uns mit auf einen nächtlichen Spaziergang auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, vorbei an den Gräbern von Seghers, Tragelehn, Mickel, Hacks, Brecht und anderen. "Wunder! Schrecken, das hätten wir alle nicht überlebt und freiwillig …". War es das schon?
Das Lyrikbändchen "Große Fuge" von Volker Braun ist 2021 im Suhrkamp-Verlag erschienen, es hat 49 Seiten und kostet 16,- € (als Ebook 14,- €).